Ich liebe Feuerwerk, auch wenn es die Dinge vereint, die eine gewisse Angst in mir auslösen: den Geruch von Rauch und plötzliche laute Geräusche. Ich liebe Feuerwerk, obwohl ich die lange Liste der Gegenargumente kenne, und würde es ab jetzt verboten sein, wäre ich die letzte, die mit „Aber könnten wir nicht…“ argumentieren würde. Es sind die bunten Lichter am Nachthimmel, die Ungewissheit, ob etwas in grün oder gold oder rot explodiert, der Widerschein in den fremden und vertrauten Gesichtern um einen herum. Nachthimmel, kühle Luft, gerötete Wangen, Lichter und Farben, in den Nacken gelegte Köpfe – ich liebe Feuerwerke aus den gleichen Gründen, aus denen ich tanzen und Konzerte und stickige Clubs liebe.
Dabei ging es ursprünglich weniger um bunte Lichter und sehr viel mehr um den Lärm. Bevor die Menschheit zu dem Schluss kam, dass es eine fantastische Idee ist, betrunken mit Sprengstoff zu hantieren, erzeugte man mit allem anderen Lärm: Man schlug Töpfe und Pfannen aufeinander, trommelte, ließ Kirchenglocken läuten, trompetete oder – mein persönlicher Favorit – schoss in die Luft. Alles nur, um mit möglichst viel Lärm die Geister des vergangenen Jahres zu vertreiben, auf dass sie uns nie wieder einholen würden. Denn das alte Jahr ist im Begriff zu sterben, genau in dem Moment, in dem ein Neues geboren wird.
Füllen wir deshalb jede mögliche Stille mit Explosionen? Ist der Gedanke daran, dass etwas stirbt, selbst dann, wenn es Zeit ist, derart unerträglich?
Der Himmel zwischen den Jahren war grau und wolkenverhangen. Es war keine einzige Rakete zu sehen – keine Lichter, keine Farben. Aber da war Lärm und der Geruch von Rauch. Vielleicht war es genauso laut, wie in allen Jahren zuvor. Jeder Knall zerriss die Luft, jede Explosion ließ Körper zusammenfahren und Köpfe zucken. Irgendwo kreischte eine Sirene, und selbst bei geschlossenem Fenster konnte man Kirchenglocken aus zwei verschiedenen Richtungen hören. Ich hatte Yoga gemacht, Tagebuch geschrieben, war spazieren gegangen und alles roch nach Lavendel.
Der Tod saß trotzdem auf meiner Couch. Das tut er, seitdem ich fünfzehn bin, mal am gegenüberliegenden Ende, mal auf meiner Brust. Er interessiert sich kein bisschen für den Lärm, den die Welt erzeugt, um ihn zu vertreiben.
Der Tod hat keinen Platz an unseren Tischen. Wir reden laut über Vorsätze und Pläne, sagen „Ab jetzt wird alles anders…“ und „Ab jetzt schaue ich nicht mehr zurück…“ und „Ich brauche diesen symbolischen Neuanfang…“. Wir sind so gut darin, Yogakurse zu buchen, ätherische Öle zu kaufen und alles, was nicht mehr sein darf zu protokollieren.
All die Farben, all der Lärm, all die Lichter. Wir tun so unglaublich viel, damit der Tod keinen Platz an unserem Tisch findet – und verlieren dabei aus den Augen, dass er sich seinen Platz ganz ohne unsere Zustimmung nimmt.
2020 haben sich 155 Personen zwischen 15 und 20 Jahren das Leben genommen. 2017 berichteten im Rahmen einer Schulstichprobe 36,4-39,4% der befragten Schüler*innen von Suizidgedanken. Global betrachtet, so der Titel eines Tagesschaubeitrags, nimmt sich alle elf Minuten eine Person in dieser Altersklasse das Leben. Diese Zahlen steigen, je weiter man in den Altersgruppen nach oben rutscht. 2020 starben 9206 Personen durch Suizid.*
Der Tod sitzt bereits an unserem Tisch, während wir noch verzweifelt auf Töpfe schlagen, in die Luft schießen und Sprengkörper zünden; selbst dann noch, wenn wir lautstark ätherische Öle, Yogakurse und „Hast du es denn mal mit Spaziergängen versucht?“ bewerben. Egal wie laut wir versuchen zu sein, es gibt eine Stille, die wir nicht ausfüllen können. Und wenn der Tod still ist, dann ist Suizidalität ein perfektes Vakuum.
Vielleicht könnten wir, nur für einen Moment, alle Feuerzeuge zurück ins unsere Hosentaschen gleiten lassen und jeden flüchtigen Ratschlag zurückbeißen. Vielleicht könnten wir, nur für einen Moment, Stille und Vakuum nicht nur ertragen, sondern ihnen Raum geben. Denn damit schaffen wir Raum für all jenes, was die Person, die dem Tod am nächsten sitzt, zu sagen hat. Vielleicht könnten wir versuchen darüber zu reden, dass der Tod an unseren Tischen sitzt.
Jemand sollte darüber reden.