Hey du,
weißt du, die Anrede lässt mich jedes Mal stocken, denn ich will hier schon perfekt sein, ich will dich mit den ersten Worten erwischen, wie es niemand anderes könnte – und dafür brauche ich Worte, die sanfter sind als die, die ich kenne. Alles, was ich dir sagen will, will ich flüstern. Ich möchte, dass du mich hier schon spürst.
Und dann will ich das Ende vorziehen, will die gesamte Klimax im ersten Satz, will nicht sagen Hey du, sondern: Du fehlst mir. Du fehlst mir, wie mir ein existenzieller Körperteil nach einer Amputation fehlen würde, ich spüre dich da, wo du sein solltest und mein Kopf weiß nichts anzufangen mit der Leere, wo du einst warst. Mein Herz substituiert dich mit Schmerz.
Ich glaube, dass du an dieser Stelle leise lachen und mich damit unterbrechen würdest. Du würdest so etwas sagen wie: Kleines, du musst zwischen deinen Sätzen Luftholen.
Aber die Leere sagt gar nichts. Die Leere ist nur still.
Vielleicht erinnerst du dich an meine Handgelenke und daran, dass ich nie eine Uhr besessen habe. Vielleicht fragst du dich an dieser Stelle aber auch im Stillen, ob ich nun endgültig den Verstand verloren habe. Gib mir ein paar Zeilen, das hier wird Sinn ergeben.
Es gab einen kurzen Zeitabschnitt, ich glaube zu meinem zwölften Geburtstag, als ich eine silberne Uhr am Handgelenk trug. Das war vor uns. Ein schmales, tickendes Modeschmuckartefakt, von dem ich stets vergaß, dass es existierte, weswegen ich es kaum anlegte. Trotzdem war nach ein paar Tagen das Glas verkratzt, keine zwei Wochen später hatte ich die Uhr verloren. Und es war mir egal.
Uhren waren für die reichen Mädchen. Die, mit mindestens einem Elternteil in der Elternpflegschaft, kleinen Tomaten in der Frühstücksbox und regelmäßigen Friseurbesuchen. Die, die irgendwann irgendwo sein mussten, während es bei mir egal war, wo ich eigentlich schon wieder abgeblieben war. Ich hatte schlicht und ergreifend keine Möglichkeit, die Sache mit der Zeit zu üben.
Wollte ich wissen, wie spät es ist, musste ich mich auf andere verlassen, hab auf fremde Handgelenke geschielt, Uhrenanzeigen gesucht oder einfach vermutet, dass ich schon noch fünf Minuten hätte. Zeit war wie eines jener komplizierten Worte, die man zum ersten Mal laut ausspricht, während man sie zuvor immer nur gelesen hatte: ein bisschen vorbei am Takt, die Betonung nur annähernd richtig, die Lautfolge geraten. Ich baute mir Zeit, so wie ich dachte, dass sie funktioniert.
Deswegen ist, war und bleibt meine innere Uhr eine Schwindlerin, die mir sagt, ich müsse mich beeilen, nur um dann zwanzig Minuten zu früh anzukommen. Sie ist es, die mir sagt, dass ich bleiben soll, wenn ich eigentlich längst gehen müsste – wegen ihr erkenne ich die wirklich wichtigen Dinge immer erst in Retrospektive. Wegen ihr versehe ich das Wort Timing immer mit einem leisen Seufzer.
Ich glaube, hätte ich auf mein Handgelenk gesehen und es wäre nicht nackt gewesen, wäre dort eine Uhr gewesen – vielleicht würde ich dann heute nicht jedes Mal Fuck you denken, wenn mir jemand erklären will, dass die Nummer mit dem schlechten Timing eine Lüge ist, die man sich erzählt, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Manchmal will ich unsere Geschichte nur erzählen, um zu beweisen, wie schlecht Timing wirklich sein kann. Aber darum soll es nicht gehen, also von vorn.
Hätte meine innere Uhr jemals funktioniert. Hätte es ein Ziffernblatt gegeben. Hätte ich an meinem Handgelenk eine tickende Erinnerung gehabt – sie wäre auf fünf vor zwölf stehenblieben, in dem Moment, in dem wir uns das erste Mal begegneten. Hätte ich ein besseres Konzept von Zeit, dann wäre es für uns immer nur fast zu spät gewesen. Wir hätten immer noch ein bisschen Zeit übrig – ich würde ohne Retrospektive und Konjunktiv auskommen. Ich hätte dir gesagt, was ich hätte sagen müssen, statt zu beobachten, wie du dich in jeden meiner Texte schleichst.
Und das ist es. Vielleicht ist das die simple Wahrheit hinter dem, was wir beide sind. Zwei Menschen auf zwei verschiedenen Zeitachsen und alles was bleibt, sind die kurzen Momente, in denen sich dein und mein Zeitstrahl kreuzen. Diese Momente, in denen es 00:48 Uhr an einem beliebigen Tag ist, und ich denke an dich und ich fühle, wie du an mich denkst. Wenn wir uns dann umdrehen, sehen wir eine gemeinsame Vergangenheit, sehen eine gemeinsame Zukunft direkt vor unseren Füßen, eh das alles wieder in sich zerfällt und ich sage leise zu der Leere, die übrig geblieben ist: Timing, hm?
Also, hier sind ein paar der Dinge, die du zu einer anderen Zeit hättest wissen müssen: Ich liebe niemanden wie ich dich liebe. Du fehlst mir. Wir werden uns wiedersehen. Mein Leben war ein besseres, als du darin vorgekommen bist. Sei nicht dumm. Hab keine Angst. Hör auf, mich ständig Kleines zu nennen, denn das wird mich für immer versauen. Und wenn die Zeit reif ist, dann komm zurück, okay?
Aus Liebe,
Sam
*I will break
every fucking
clock on this
earth to prove
that we are
not bad timing.
Erin Van Vuren
2 Antworten zu “I will break every fucking clock”
Ich lese mich durch deine Texte und fühle mich so verdammt verstanden. Muss grinsen oder lege meinen Kopf zurück und sage laut Fuck. Weil du verdammt nochmal talentiert bist und das hier so schmerzhaft schön ist. Liebe out und over!
LikeGefällt 1 Person
Haufenweise Liebe an dich – sowas von!
LikeLike